«Pecunia non olet» – Geld stinkt nicht [1] – lautet eine berühmte lateinische Redewendung. Lässt sich diese auch auf die Rendite übertragen? Daher: wenn Geld nicht stinkt, dasselbe auch für die Rendite gelten muss? Im Kontext des nachhaltigen Investierens würde dies voraussetzen, dass der Markt jederzeit in der Lage ist, die Spreu vom Weizen bzw. nachhaltige von nicht-nachhaltigen Firmen zu trennen. Eine Voraussetzung dafür ist, dass die Risiken einer umweltschädigenden oder unsozialen Unternehmenspraxis vom Markt richtig eingepreist werden. Sind sämtliche externen Effekte im Preis einer Anlage enthalten, ist die Rendite demnach bereits um den Nachhaltigkeitseffekt korrigiert. Als logische Konsequenz müssten sich die Anleger nicht mit dem Thema Nachhaltigkeit auseinandersetzen und könnten es dem Markt überlassen. Doch: Sind die Marktanreize stark und deutlich genug, damit börsenkotierte Firmen weltweit ein virtuoses Verhalten anstreben?
Schafft der Markt Anreize für virtuoses Verhalten?
Die klassische Finanzmarkttheorie basiert auf der Hypothese des (Informations-)effizienten Marktes, der fähig ist, alle relevanten Informationen über eine Firma umgehend in deren Aktienpreis einfliessen zu lassen. Firmen, deren Verhalten nicht nachhaltig ist, würden demnach vom Markt als riskanter eingestuft: Sie müssten mehr Mühe bekunden, sich am Markt zu finanzieren und würden mit einer tieferen Bewertung abgestraft. Das allein wäre Anreiz genug, die Nachhaltigkeitsprinzipien tunlichst einzuhalten.
Doch was ist überhaupt «der Markt»? De facto ist er eine unpersönliche Entität, welche bloss den Durchschnitt aller Anleger wiedergibt. Doch selbst im Durchschnitt verhalten sich die Anleger nicht immer rational. Ihr Verhalten ist häufig kurzsichtig sowie von Gier und Angst getrieben.
Die Selbstregulierungsfunktion des Marktes wird deshalb von den Vertretern der Behavioral Finance hinterfragt. Sie bezweifeln, ob nachhaltiges Verhalten in einem globalisierten Finanzmarkt überhaupt eingepreist werden kann, zumal es, wie im nächsten Absatz beschrieben wird, keine global gültigen Nachhaltigkeitsstandards gibt. Nicht alle verstehen unter Nachhaltigkeit dasselbeWas bedeutet eigentlich nachhaltiges Anlegen? Obwohl in aller Munde, lässt sich Nachhaltigkeit nicht mit objektiven und allgemeingültigen Prinzipien definieren. Um das Themenfeld abzustecken, spricht man heute von ESG-Kriterien (engl. ESG für Environmental, Social und Governance) für die drei Bereiche Umwelt, Soziales und Unternehmensführung. In deren Interpretation spielen der Zeitgeist, wie auch unterschiedliche kulturelle, soziale und geografische Sensibilitäten eine entscheidende Rolle. Von Sklaverei über Kinderarbeit bis hin zur Umweltverschmutzung: Praktiken, die einst als normal galten, werden heute – zum Glück – nicht mehr toleriert. Zum Beispiel das Rauchen: Man erinnere sich an die legendären Fernsehdebatten, wo die gestikulierenden Gäste vor lauter Zigarettenrauch kaum mehr zu erkennen waren – aus heutiger Sicht undenkbar! Die Unterschiede bezüglich der Wahrnehmung und der Akzeptanz von ESG-Kriterien sind historisch betrachtet sehr gross und bestehen auch heute noch. Eine Umfrage im Freundeskreis über die Definition von Nachhaltigkeit und die Prioritäten bei der Anwendung von ESG-Prinzipien bringt unterschiedliche Antworten hervor. Die persönlichen Werte sind geprägt vom sozialen und gesellschaftlichen Umfeld. Besonders markant sind die Differenzen zwischen verschiedenen Regionen, Kontinenten und Kulturen, was wiederum beeinflusst, wie dringlich ein bestimmtes Nachhaltigkeitskriterium von verschiedenen Anlegergruppen eingefordert wird.
Privatanleger können ihre Vorstellungen bezüglich Nachhaltigkeit und deren Umsetzung in einer Anlagestrategie individuell definieren und deren Kosten oder Opportunitätskosten bewusst in Kauf nehmen. Ungleich komplizierter ist dies für institutionelle Anleger, die wie Versicherungen oder Vorsorgeeinrichtungen Gelder für eine grosse Anzahl Berechtigte treuhänderisch verwalten. Ihnen stellen sich gleich mehrere Probleme: Welches ist der gemeinsame Nenner der Anleger bezüglich ESG-Kriterien? Wie restriktiv soll deren Anwendung sein und auf welcher ESG-Definition soll sie basieren? Muss ein ESG-Komitee einberufen werden? Wie detailliert soll der ESG-Anlageprozess in den Statuten und Reglementen festgehalten werden? Wie sind Governance- und Kontrollprozesse festzulegen? Hinzu kommt eine weitere und angesichts des Renditenotstandes geradezu existenzielle Frage: Wie beeinflusst die Berücksichtigung von ESG-Kriterien die Performance?
Nachhaltigkeit und die Renditefrage
Es gibt bislang keine wissenschaftlich schlüssige Antwort, ob und wie der Einbezug von ESG-Kriterien die Rendite positiv oder negativ beeinflusst. In den letzten 20 Jahren erschienen mehrere Studien mit teilweise sehr unterschiedlichen Resultaten, was nicht zuletzt an den jeweils zugrundeliegenden Daten sowie der angewendeten Methodologie und Definition von ESG-Kriterien liegt. Vereinfachend lassen sich zwei Gruppen unterscheiden: Das erste Lager erwartet einen negativen Effekt der Integration von ESG auf die Rendite. Diese Sichtweise wird gestützt durch empirische Analysen, die zeigen, dass sogenannte «Sin Stocks» regelmässig den Markt übertreffen. Dazu zählen Firmen, die sich zwar gesetzeskonform verhalten, jedoch in wenig nachhaltigen Geschäftsbereichen wie Alkohol, Tabak, Glücksspiele und Waffen tätig sind. Der Sin Stocks Report [2] zählt auch Unternehmen dazu, die durch eine sehr aggressive Verkaufspraxis – beispielsweise bei der Vergabe von Konsumkrediten – oder durch ausbeuterische Arbeitsverhältnisse negativ auffallen.
Die andere Gruppe ist der Meinung, dass Unternehmen, welche sich an höheren ESG-Standards orientieren, auch eine bessere Risikokontrolle haben, was sich langfristig positiv auf die Rendite auswirkt. Diese Ansicht hat erst in den letzten Jahren Zulauf gefunden. Gemäss Cliff Asness, dem Gründer der auch in wissenschaftlichen Kreisen anerkannten Vermögensverwaltungsfirma AQR, kann der Einbezug von ESG nicht zu einer höheren Rendite führen. Dies weil im Vergleich zu einem Anlageprozess ohne Restriktionen das Anlageuniversum eingeschränkt wird. Nachhaltig investieren stehe deshalb im Widerspruch zum Ziel, eine möglichst hohe Rendite zu erzielen, oder anders gesagt: «Virtue is not a free lunch» [3]. Anleger, die bestimmte Titel aufgrund von ESG-Restriktionen aus dem Portfolio verbannen, drücken deren Preis nach unten. Die durch den Verkaufsdruck induzierte Unterbewertung der Titel erhöht die erwartete Rendite für die Anleger, welche sich nicht um ESG kümmern. Bestätigung findet diese Einschätzung in der langjährigen Outperformance von Sin Stocks. Diese empirische Evidenz scheint zu bestätigen, dass der Einbezug von ESG einen Preis hat in Form einer Renditeeinbusse.
Gibt es eine «sündhafte» Mehrrendite?
Auch wenn die als Sin Stocks bezeichneten Unternehmen nicht alle ESG-Kategorien abdecken respektive verletzen, ist die Performance von Sin Stocks Gegenstand zahlreicher wissenschaftlicher Untersuchungen. Damit bilden sie die längste und am besten analysierte Datenreihe, um die Implikationen und Opportunitätskosten des nachhaltigen Anlegens auf ein Portfolio zu evaluieren.
Am weitesten zurück geht eine Studie mit US-Aktiendaten ab den 1920er Jahren. Die Resultate sind eindeutig: Egal ob aggregiert oder nach einzelnen «Sünden» aufgegliedert, die lasterhaften Anlagen schneiden durchwegs besser ab als der Marktindex [4].
Zu einem ähnlichen Schluss kommt eine umfangreiche Studie von Fabozzi, Ma und Oliphant, welche die Performance von Sin Stocks aus 21 Ländern berücksichtigt [5]. Zwischen 1970 und 2007 übertrafen sowohl das aggregierte internationale Sin-Portfolio als auch die einzelnen Sin-Länderportfolios den marktkapitalisierten Index deutlich. Dimson, Marsh und Staunton [6] identifizieren in einer Metastudie die Faktoren für die überdurchschnittliche Rendite von Sin Stocks: Diese können auf eine stabile Nachfrage nach ihren Produkten und Dienstleistungen zählen, sind international tätig und weisen eine hohe Marge auf. Zudem werden sie dank einer hohen Markteintrittsschwelle vor Konkurrenz abgeschirmt. Sobald eine Mehrheit der Anleger diese Titel aus ethischen Überlegungen meidet, kann dies eine Kaufgelegenheit für Anleger schaffen, die sich nicht um ESG-Kriterien kümmern. Unsere eigene Analyse in Abbildung 1 (basierend auf der MSCI ESG-Datenbank [7]) zeigt die Performance der einzelnen MSCI ESG-Ratingkategorien – von «AAA» als höchstes Rating bis «CCC» als tiefstes Rating – für den MSCI Aktien Welt Index über die letzten zehn Jahre. Gemäss der Grafik verspricht eine Investition in Aktien aus der schlechtesten und der besten Ratingkategorie eine überdurchschnittliche Rendite. Demgemäss würde ein passiver, nach Marktkapitalisierung gewichteter Ansatz bei der Exklusion der Aktien mit einem «CCC»-Ratings zu einer tieferen Portfoliorendite führen. Eine schwierige Ausgangslage für institutionelle Anleger mit einer passiven Anlagestrategie, die ESG-Kriterien in Ihren Anlageprozess integrieren müssen, jedoch keine Performanceeinbusse hinnehmen dürfen!