Wir bezweifeln, dass der Zuwachs der Investitionen in Minimum Varianz in den letzten Jahren einzig mit der überlegenen Effizienz dieses Ansatzes gegenüber dem kapitalgewichteten Marktindex zu tun hat, zumal dieser Nachweis von der empirischen Finanzmarktforschung bereits vor Jahrzehnten erbracht wurde. Vielmehr dürfte die aussergewöhnliche Marktsituation mit der Negativ- oder Tiefzinspolitik weltweit, kombiniert mit einer Reihe von politischen, geopolitischen und wirtschaftlichen Risiken zu diesem Anstieg geführt haben.
Weil alternative Anlagemöglichkeiten fehlen, stocken viele Anleger ihre Aktienquote auf, um ihr Renditeziel zu erreichen. Sie müssen deshalb bei der Gestaltung der Asset Allokation dem Portfoliorisiko mehr Aufmerksamkeit schenken. Damit berücksichtigen sie – bewusst oder unbewusst – Markowitz’ Kernbeitrag zur modernen Portfoliotheorie: Das Portfoliorisiko und die Portfolio-Diversifikation zu optimieren. Risikobasierte Ansätze sind dabei hilfreich, weil sie für die Entscheidungsträger Freiheitsgrade schaffen für eine optimale Nutzung des Risikobudgets.
Doch trotz steigender Akzeptanz haben risikobasierte Strategien nach wie vor einen schweren Stand im Markt. Vielen Anlegern ist nicht bewusst, dass sie nicht nur in Bezug auf das Risiko, sondern langfristig auch bei der Rendite dem «Holy Grail» des marktkapitalisierten Index überlegen sind. Auch wissenschaftliche Belege vermögen die weitverbreitete Skepsis nicht zu beseitigen.
Wir gehen in dieser Research Note auf die Argumente der kritischen Stimmen ein, die den Mehrwert von Minimum Varianz in Frage stellen, und die in der Underperformance im 2016 eine Bestätigung ihrer Vorbehalte sehen. Wir zeigen im Folgenden auf, warum diese Argumente nicht zutreffen, und warum es sich für die Anleger lohnt, langfristig den Fokus auf eine optimierte Diversifikation und auf das Risikomanagement zu legen, auch wenn bei einer längeren Phase ungewöhnlich tiefer Marktvolatilität wie im 2016 keine Outperformance zu erwarten ist.
1. Droht eine Blasenbildung bei Minimum Varianz?
Das Volumen der risikobasierten Strategien ist klein im Vergleich zu Indexfonds und ETF. Zudem unterscheiden sich die Ansätze und deren Portfolios.
Wir haben in Bloomberg 73 ETF und 75 Anlagefonds identifiziert, die nach Minimum Varianz, Low Volatility oder ähnlichen risikobasierten Ansätzen investieren. Für diese Gruppe haben wir das Vermögen und die Kapitalflüsse (Netto-Zeichnungen) per Ende September 2016 analysiert. Diese Zeitperiode wurde gewählt, da im folgenden 4. Quartal die risikobasierten Strategien eine starke Underperformance erzielten.
Die ausgewählten Produkte wiesen per Ende September ein verwaltetes Vermögen von USD 53 Mrd. (ETF) bzw. USD 38 Mrd. (Anlagefonds) aus. Die Gesamtsumme von USD 91 Mrd. entspricht dabei nicht einmal der Hälfte von «Spider», dem mit einem Volumen von USD 195 Mrd. grössten ETF auf den S&P 500. Obwohl risikobasierte ETF von September 2015 bis September 2016 fast 12 % aller Aktien-ETF-Zuflüsse beanspruchten und sich die verwalteten Vermögen fast verdoppelten, war ihr Anteil am gesamten Investitionsvolumen in Aktien-ETF von USD 2,7 Billionen mit rund 2 % immer noch marginal.
Risikobasierte Strategien bilden keinen Monolith – ganz im Gegensatz zu den kapitalgewichteten Indexfonds/ETF, wo die Portfoliostrukturen der verschiedenen Anbieter bis auf die Kommastelle übereinstimmen. Bei den risikobasierten Ansätzen gibt es verschiedene Strategien wie zum Beispiel Low Volatility (Selektion der Titel mit kleinster Volatilität), Minimum Varianz oder Minimum Volatility (Optimierung der Titelgewichtung des Portfolios mit kleinster Volatilität). Die Umsetzungen der verschiedenen Anbieter unterscheiden sich sogar innerhalb der gleichen Strategie.
Abbildung 2 verdeutlicht, wie sich verschiedene risikobasierte Strategien unterscheiden: