Im ersten Teil unseres exklusiven Gesprächs mit dem Nobelpreisträger Robert Engle beleuchten wir die zunehmende Welle geopolitischer Risiken und deren Auswirkungen auf die Finanzmärkte. Von Pandemien über Zölle bis hin zu Kriegen – diese Ereignisse sind zu globalen wirtschaftlichen Schockwellen geworden, die zunehmend schwer vorherzusagen sind. Globale Unsicherheit ist in den Mittelpunkt der Sorgen von Investoren gerückt.
Geopolitisches Risiko neu denken
Traditionelle geopolitische Risikoindizes stützen sich häufig auf Nachrichtensentiment oder Experteneinschätzungen. Engles Forschungsteam verfolgt jedoch, insbesondere über das V-Lab der NYU, einen anderen Ansatz: Sie analysieren direkt die Finanzmärkte, um das herauszufiltern, was Engle als „Common Volatility Risk“ (CoVol) bezeichnet.
Gianluca De Nard: „Gibt es Tage, an denen Nachrichten so einflussreich sind, dass Märkte auf der ganzen Welt stärker schwanken als ihre vorhergesagte Volatilität?“
Robert Engle: „Dabei handelt es sich um gemeinsame Schocks – häufig geopolitischer, aber auch wirtschaftlicher, medizinischer oder anderer Natur“
Dieser statistische Ansatz identifiziert globale Volatilitätsspitzen über Ländergrenzen und Anlageklassen hinweg – wie etwa am 20. Februar 2020 (COVID-Schock), während des Brexits oder bei den Wiedereröffnungen nach dem 11. September. „Nicht alle bedeutenden Nachrichtenereignisse führen zu gemeinsamen Marktschocks. So löste beispielsweise die Invasion Russlands in der Ukraine in ihrem Modell keine nennenswerten Ausschläge aus: Manche Ereignisse, von denen man erwarten würde, dass sie relevant sind – wie der Beginn des Ukrainekriegs –, erscheinen nicht als globale Volatilitätsereignisse. Das könnte daran liegen, dass die Märkte nicht materiell exponiert waren oder dass die USA wirtschaftlich durch Verteidigungsausgaben profitierten.“
Extremereignisse und Anlageimplikationen
Wie sollten Anleger auf dieses neue Volatilitätsregime reagieren? Für Engle ist klar, dass geopolitische Schocks als Extremrisiken funktionieren – plötzlich, extrem und oft schwer vorherzusagen: „Sie betreffen viele Vermögenswerte gleichzeitig – es kommt zu portfolioweiten Verlusten, selbst wenn die Allokation diversifiziert scheint.“
Eine mögliche Reaktion? Anpassung der Ländergewichtungen basierend auf ihren CoVol-Faktorbelastungen – also wie sensibel die Märkte der einzelnen Länder auf globale Volatilitätsschocks reagieren. Engle merkt an, dass Länder mit hoher Exponierung gegenüber gemeinsamen Volatilitätsschocks niedrigere Gewichtungen in einem risikoorientierten Portfolio verdienen könnten. „Kleinere oder weniger vernetzte Volkswirtschaften könnten Diversifikationsvorteile bieten. In traditionellen Marktindizes sind sie jedoch häufig untergewichtet, was zu einer Abweichung vom Benchmark führt.“
Dieser Ansatz stellt passive Anlagestrategien in Frage, die oft konzentrierte Märkte wie die USA stärker gewichten, und zeigt den Vorteil gut verwalteter, risikoorientierter Portfolios mit geringerer Konzentrationsgefahr auf Länder-, Sektor- und Unternehmensebene.