Risiko / Marktgeschehen
17. Juni 2025
5 Minuten

Risiken navigieren in einer sich verändernden Welt – Ein Gespräch mit Robert Engle Teil 2

Wir freuen uns, ein exklusives Interview mit Nobelpreisträger und Professor Emeritus Robert Engle zu präsentieren, dessen bahnbrechende Arbeit über dynamische Volatilität und Korrelationen unser Verständnis von der Messung und dem Management finanzieller Risiken neu geformt hat. Von seinen Modellen bis hin zu den Echtzeitindikatoren im Volatility Lab der NYU hat Engle Finanzökonomen und Praktikern geholfen, besser zu verstehen, wann und wie sich die Marktvolatilität bewegt.

Wir haben uns mit ihm zusammengesetzt, um drei drängende Risikodimensionen zu beleuchten, die derzeit globale Investitionsentscheidungen prägen: geopolitisches Risiko, steigende Marktkonzentration und Klimarisiken. Jedes dieser Themen verändert die Finanzlandschaft strukturell, stellt traditionelle Modelle und Investmentstile in Frage und erfordert neue Werkzeuge und Einsichten.

Das Gespräch wird moderiert von Dr. Gianluca De Nard, unserem Leiter der quantitativen Forschung, der gemeinsam mit Robert Engle zu Themen wie Klimarisikomodellierung, Volatilitätsprognosen und Portfoliooptimierung geforscht und publiziert hat. Zusammen bieten sie einen fundierten und praxisnahen Einblick in die Entwicklung von Risiken – und zeigen auf, wie sich Investoren darauf vorbereiten können.

A propos Engle & De Nard: Unser Mitarbeiter gewinnt den Engle Prize

Wir freuen uns sehr, bekannt zu geben, dass unser Kollege Dr. Gianluca De Nard mit dem renommierten Engle Prize ausgezeichnet wurde! Der Preis wird alle drei Jahre an den/die Nachwuchswissenschaftlerin oder Studierenden verliehen, der/die den besten Artikel im Journal of Financial Econometrics veröffentlicht hat.

Die Auszeichnung würdigt Beiträge junger Forschender, die ihre Promotion nicht länger als fünf Jahre vor Annahme des Artikels abgeschlossen haben. Die Auswahl trifft ein Gremium aus Herausgebern und externen Expert/innen.

Der Engle Prize ist mit 1.500 US-Dollar dotiert – wir gratulieren Giancluca herzlich zu dieser verdienten Anerkennung!

Sein gewinnbringendes Paper "Oops! I Shrunk the Sample Covariance Matrix Again: Blockbuster Meets Shrinkage" finden Sie hier.

Teil 2: Marktrisiko, Konzentration und passives Investieren

„Der Markt hält ein Hedge-Portfolio und könnte dafür zu viel bezahlen.“


Robert Engle – Nobelpreisträger & Professor Emeritus.

Robert Engle – Nobelpreisträger & Professor Emeritus

In den vergangenen Jahren sind die Aktienmärkte – insbesondere in den USA – kopflastiger geworden als je zuvor. Die sogenannten „Magnificent Seven“-Technologieaktien haben die Indexrenditen dominiert, und mit dem Aufstieg des passiven Investierens fliesst zunehmend Kapital in eben diese Werte. Doch bringt diese Konzentration neue Risiken mit sich, die Investoren berücksichtigen sollten – und die von traditionellen Modellen wie GARCH oder CAPM nicht erfasst werden?

Konzentration als strukturelles Merkmal

Robert Engle betont, dass dies nicht nur eine statistische Anomalie ist – sondern ein fundamentaler Wandel darin, wie Märkte zukünftige Innovationen bewerten, insbesondere rund um Künstliche Intelligenz (KI): „Wenn wir wirklich erwarten, dass die Vorteile von KI erheblich sein werden, möchte man involviert sein. Investoren bauen möglicherweise ein Portfolio, das wie ein Hedge aussieht – long Tech, short der Rest – in der Hoffnung zu profitieren, wenn KI liefert.“

Dies erklärt einen Teil der Bewertungsstory: Der Markt preist transformative zukünftige Wachstumserwartungen ein. Aber wenn „alle“ in denselben Trade drängen, brechen Diversifikation – und damit Resilienz – zusammen.

Engle: „Irgendwann wird dieses Hedge-Portfolio selbst zum Markt. Und genau da verschwindet die Diversifikation.“

Sind traditionelle Risikomodelle noch ausreichend?

Modelle wie GARCH oder Shrinkage zur Modellierung von Varianzen und Korrelationen, wie sie von Engle, De Nard und Koautoren vorgeschlagen wurden, sind für risikoorientierte Portfolios entscheidend. Allerdings gehen sie davon aus, dass Renditen und Volatilitäten kurzfristige Dynamiken widerspiegeln. Engle warnt jedoch: „Volatilitätsmodelle sagen nichts über langfristige Risiken. Sie zeigen, was für eine Weile zu erwarten ist, aber nicht die strukturellen Risiken durch langfristige Konzentration.“

Dies wird problematisch, wenn systemische Extremrisiken nicht in der täglichen Varianz sichtbar werden, sondern sich in extremen Bewertungen, erhöhter Schocksensibilität oder gemeinsamen Exponierungen über verschiedene Vermögensverwalter hinweg manifestieren. Engle plädiert daher für neue Instrumente – Modelle, die langfristige Exponierungen, thematische Clusterbildungen und Regimewechsel systematisch berücksichtigen.

Ist dies eine KI-Blase? Erinnerungen an die Dotcom-Ära

Die jüngste Tech-Rallye hat Vergleiche mit früheren Hypes hervorgerufen. Erleben wir eine weitere Blase? Engle erklärt es nicht ausdrücklich zur Blase, stellt jedoch extreme Bewertungen fest: „Wir sehen, dass einfache Bewertungskennzahlen – wie das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) – historische Höchststände erreichen. Und wie wir in der Dotcom-Ära gesehen haben: Was schnell steigt, kann auch hart korrigieren.“

Gianluca De Nard ergänzt, dass die heutige Konzentration frühere Episoden widerspiegelt – insbesondere dann, wenn konstruierte Indizes US-Grossunternehmen überproportional berücksichtigen. Seiner Einschätzung nach ist die Illusion von Diversifikation tatsächlich real. „Manche glauben, der MSCI World sei ausreichend global diversifiziert, doch 72% davon entfallen auf US-amerikanische Werte – hauptsächlich Technologietitel. Das ist kein ausgewogenes Portfolio.“

„Volatilitätsmodelle sagen nichts über langfristige Risiken. Sie zeigen, was für eine Weile zu erwarten ist, aber nicht die strukturellen Risiken durch langfristige Konzentration.“


Robert Engle – Nobelpreisträger & Professor Emeritus.

Robert Engle – Nobelpreisträger & Professor Emeritus

Das Paradoxon des passiven Investierens

Engle lehnt passives Investieren nicht ab – aber er warnt, dass es systemische Fragilität verstärken könnte, insbesondere wenn alle dasselbe kopflastige Portfolio besitzen: „Passives Investieren war zuletzt erfolgreich, aber es ist anfällig in Stressphasen. Strategien wie gleichgewichtete oder risikooptimierte Portfolios verpassen möglicherweise die Höchststände – aber sie vermeiden den Abgrund.“

Er zeigt sich skeptisch gegenüber einer blinden Nachbildung von Marktkapitalisierungsgewichtungen, insbesondere wenn dies auf Kosten einer Diversifikation nach Ländern, Sektoren und Bewertungsregimen geht.

Handelt es sich um ein systemisches Risiko? Nicht genau – aber fast

Ist die Dominanz einiger weniger Tech-Aktien ein systemisches Risiko? „Nicht im Sinne von 2008“, sagt Engle. „Tech-Firmen wie die Magnificent Seven haben eine geringe Verschuldung – Banken sind daher nicht direkt von ihrem Zusammenbruch betroffen.“

Aber das Risiko ist dennoch real – Pensionskassen, Hedgefonds und Privatanleger sind stark exponiert. Ein starker Einbruch könnte zu weit verbreiteten Portfolioverlusten und Panikverhalten führen, selbst wenn Banken geschützt sind.

„Man kann Risiko nicht eliminieren. Aber man kann bewusster wählen, welche Risiken man eingeht.“


Robert Engle – Nobelpreisträger & Professor Emeritus.

Robert Engle – Nobelpreisträger & Professor Emeritus

Was ist der Weg nach vorn?

Anstatt zu versuchen, Märkte zu timen oder Blasen vorherzusagen, plädieren Engle und De Nard für risikobewusste und adaptive Strategien:

  • Diversifikation über Regionen und Sektoren hinweg, nicht nur über einzelne Unternehmen.

  • Einsatz alternativer Gewichtungsschemata wie Gleichgewichtung oder risikobasierte Gewichtung zur Reduzierung der Konzentration.

  • Einbeziehung struktureller Risikoindikatoren – wie Exponierung gegenüber gemeinsamer Volatilität (CoVol) oder thematischer Überbewertung.

„Man kann Risiko nicht eliminieren“, schliesst Engle. „Aber man kann bewusster wählen, welche Risiken man eingeht.“

Wir freuen uns immer, mit Ihnen zu sprechen.

Eine nachhaltige Bindung mit unseren Kunden ist uns mehr wert, als der kurzfristige Erfolg. Treten Sie mit uns in Kontakt, wie freuen uns. Oder kontaktieren Sie uns direkt: